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Blockaden, Demos, Ausnahmezustand: Gießen stemmt sich gegen AfD-Jugendkongress


Neustrukturierung der AfD-Jugend sorgt für bundesweite Aufmerksamkeit

Am Wochenende des 29. und 30. November wurden in Gießen mehrere tausend Menschen erwartet. Anlass war ein bundesweites Treffen von AfD-Mitgliedern, bei dem nach Angaben der Partei eine neue Jugendorganisation gegründet werden soll. Hintergrund der Neustrukturierung sind Auseinandersetzungen um die bisherigen Nachwuchsstrukturen der AfD. Die „Junge Alternative“ war in den vergangenen Jahren zunehmend in den Fokus des Bundesamtes für Verfassungsschutz geraten und wird seit dessen Einstufung als „gesichert rechtsextrem“ von Teilen der Partei nicht mehr weitergeführt. Kritiker sehen in der geplanten Neugründung einen Versuch, auf diese Entwicklungen zu reagieren und mögliche Konsequenzen für die Partei zu begrenzen. In der Stadt formierten sich unterdessen zahlreiche Bündnisse und Initiativen, die zu Protesten gegen das Treffen aufrufen.

Schüler setzen erstes Zeichen gegen Rechtsextremismus

Den Auftakt der zahlreichen Proteste am Wochenende machten bereits Gießener Schülerinnen und Schüler. Am Freitag demonstrierten nach Meidenangaben rund 800 Jugendliche aus verschiedenen Schulen der Stadt in der Innenstadt. Mit zahlreichen Plakaten machten sie auf aus ihrer Sicht wachsenden Rechtsextremismus aufmerksam sowie auf die Gefahren, die sie in einer Partei sehen, deren alte Jugendorganisation vom Bundesamt für Verfassungsschutz als „gesichert rechtsextrem“ eingestuft wird.

Breite Proteste prägen den Samstag in Gießen

Am Samstag folgten zahlreiche Gruppen, Parteien und zivilgesellschaftliche Organisationen dem Aufruf zu weiteren Großdemonstrationen. Die größte Veranstaltung wurde vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) organisiert. Nach übereinstimmenden Medienberichten nahmen allein dort rund 20.000 Menschen teil. Mit mehreren Bühnen, Musik und Redebeiträgen sorgten die Veranstalter trotz kalten und nassen Wetters für eine insgesamt positive und entschlossene Stimmung.

Blockade in Gießen: Aktivisten halten ein Banner des Bündnisses „Widersetzen“ in der Innenstadt. (Foto: Blogger im Einsatz)

Streit um Demonstrationsverbote rund um die Hessenhallen

Ursprünglich waren die Gegenproteste in Sicht- und Hörweite des AfD-Gründungstreffens rund um die Hessenhallen geplant. Die Stadt Gießen untersagte jedoch zunächst sämtliche Versammlungen auf der gesamten Westseite des Stadtgebiets. Zur Begründung verwies die Stadt auf die erwartete hohe Teilnehmerzahl von 30.000 bis 50.000 Menschen. Dies stelle, so die Argumentation, ein erhebliches Sicherheitsrisiko dar, da Fluchtwege und ausreichend Raum für Evakuierungen im Falle einer Paniksituation nicht gewährleistet seien.

Gegen diese Allgemeinverfügung legten mehrere Veranstalter Eilanträge beim Verwaltungsgericht ein, darunter der DGB und Die Linke Mittelhessen. Während der Antrag des DGB abgelehnt wurde und das Demonstrationsverbot in diesem Fall bestehen blieb, gab das Gericht dem Eilantrag des Gießener Kreisverbands der Linken statt und erlaubte dessen Kundgebung zunächst.

Sowohl die Stadt Gießen als auch mehrere Anmelder legten daraufhin Beschwerde beim Verwaltungsgerichtshof in Karlsruhe ein. In einer Eilentscheidung bestätigte das Gericht schließlich die Auflagen der Stadt und setzte damit das umfassende Demonstrationsverbot auf der Westseite der Stadt wieder in Kraft. Nähere Begründungen für die Entscheidung veröffentlichte das Gericht nicht. Auch die zuvor genehmigte Versammlung der Linken Gießen musste daraufhin auf die östliche Seite des Stadtgebiets verlegt werden.
Eine letzte Klage der Linken beim Bundesverfassungssgericht wurde im Anschluss erneut abgelehnt. 

Gewalt von Polizeikräften und Demonstranten 

Bereits am frühen Samstagmorgen kam es auf mehreren Zufahrtsstraßen, darunter der B429, zu Blockadeversuchen. Das Bündnis „Widersetzen“ versammelte nach eigenen Angaben mehrere tausend Menschen, die Straßen in Richtung der Hessenhallen besetzten, um die Anreise von Teilnehmerinnen und Teilnehmern der AfD-Veranstaltung zu erschweren. Die Polizei verlegte daraufhin zahlreiche Einsatzkräfte und begann, die Blockaden aufzulösen.

Dabei kam es zu mehreren körperlichen Auseinandersetzungen. Die Polizei setzte nach eigenen Angaben Wasserwerfer, Schlagstöcke und Pfefferspray ein. In im Netz veröffentlichten Videos ist zu sehen, wie eine größere Menschenmenge eine Straße blockiert und Einsatzkräfte in die Gruppe hineinrennen; dabei stürzen mehrere Personen, außerdem sind einzelne Schlagstockeinsätze zu erkennen. Eine unabhängige Einordnung der jeweiligen Abläufe liegt bislang nicht vor und ist Gegenstand einer Prüfung der Polizei.

Zu den Ereignissen gehörten nach Beobachtungen von Blogger im Einsatz vor Ort auch gegenseitige Provokationen. Auf einer Brücke am Christoph-Rübsamen-Steg riefen einzelne Blockadeteilnehmende wiederholt den Slogan „ACAB – All Cops Are Bastards“ in Richtung der Einsatzkräfte. Nach Angaben der Polizei sollen in weiteren Situationen auch Steine auf Einsatzkräfte geschmissen worden sein. Unabhängige Schilderungen oder Quellen liegen bislang nicht vor.

Polizei beim Einsatz gegen Gegendemonstranten in Gießen. (Foto: Blogger im Einsatz)

Provokation durch einzelnen AfD-Teilnehmer führt zu angespanntem Zwischenfall

In einzelnen Fällen gingen Provokationen jedoch nicht nur vom Gegenprotest aus. Ein Video, das vom Kreisratsmitglied des Rhein-Neckar-Kreises, Guntram Proß, veröffentlicht wurde, zeigt eine Szene, in der ein Mann, der äußerlich als Teilnehmer der AfD-Veranstaltung erkennbar ist, wiederholt und bewusst versucht, sich durch eine angemeldete und genehmigte Gegenkundgebung zu drängen. Trotz offensichtlicher Ausweichmöglichkeiten versuchte der Mann mehrfach, die Menschenmenge zu durchbrechen und geriet dabei zunehmend in eine körperliche Auseinandersetzung mit Demonstrierenden.

Die Identität des Mannes sowie seine Motivation bleiben unklar. Beobachter werten sein Verhalten jedoch als gezielte Provokation gegenüber dem Gegenprotest. Die Polizei griff schließlich ein und trennte die Beteiligten, um eine weitere Eskalation zu verhindern.

Kontroverse um gefährliches Fahrmanöver eines AfD-Fahrzeugs

Für zusätzliche Kritik sorgt ein Video, das von der AfD Berlin selbst in den sozialen Medien veröffentlicht wurde. Die Aufnahmen stammen aus dem Inneren eines Fahrzeugs, das sich unmittelbar hinter einen Rettungswagen setzt, während dieser sich seinen Weg durch eine größere Gruppe von Demonstrierenden auf einer Gießener Bundesstraße bahnt. Nachdem die Versammlungsteilnehmenden dem Rettungswagen geordnet Platz gemacht hatten, fährt das AfD-Fahrzeug dicht versetzt hinterher und bewegt sich dadurch direkt in die Menge hinein. Auf dem Video ist erkennbar, wie Menschen auf der Motorhaube liegen und teilweise ausweichen müssen, um nicht erfasst zu werden.

Das bewusste Nutzen der durch einen Rettungswagen geöffneten Passage stellt einen klaren Verstoß gegen die Straßenverkehrsordnung dar. Die StVO verbietet ausdrücklich, Rettungsfahrzeugen zu folgen oder sich an sie „anzuhängen“, um schneller durch Verkehrs- oder Menschenansammlungen zu gelangen. Solche Manöver können als Gefährdung des Straßenverkehrs gewertet werden und haben in Deutschland empfindliche Bußgelder, Punkte in Flensburg oder sogar strafrechtliche Konsequenzen zur Folge.

Spannungsfeld Gießen: Politische und rechtliche Relevanz

Das Wochenende in Gießen fasst die aktuellen politischen Spannungen in Deutschland zusammen: Der Versuch der AfD, nach der Einstufung der Jungen Alternative als gesichert rechtsextrem eine neue Jugendstruktur zu schaffen, traf auf massiven, breiten zivilgesellschaftlichen Widerstand, der Zehntausende auf die Straße brachte. Begleitet wurden die Proteste von einer intensiven juristischen Auseinandersetzung um die Versammlungsfreiheit, die bis vor das Bundesverfassungsgericht reichte.

Die festgestellten Verkehrsverstöße und die gewaltsamen Konfrontationen zwischen Demonstrierenden und Einsatzkräften werfen zudem Fragen zur Sicherheit und zum Umgang mit politischen Großereignissen auf. Die politischen und rechtlichen Nachwirkungen dieses Wochenendes werden die Debatte um den Umgang mit dem Rechtsextremismus in Deutschland voraussichtlich über die Region hinaus prägen.

Die Fotos dieses Artikels dürfen unter Angabe des Urhebers "Blogger im Einsatz" frei verwendet werden.
 
Vielfalt und Toleranz als klares Zeichen: Banner, angebracht an einem Wohnhaus in Gießen, symbolisiert die Botschaft der Gegendemonstranten. (Foto: Blogger im Einsatz)
Polizei im Großeinsatz: Spezialfahrzeug auf den Straßen von Gießen. (Foto: Blogger im Einsatz)

Polizei im Großeinsatz: Spezialfahrzeug auf den Straßen von Gießen. (Foto: Blogger im Einsatz)

Polizei im Großeinsatz: Spezialfahrzeug auf den Straßen von Gießen. (Foto: Blogger im Einsatz)

Schwer ausgerüstete Kräfte der Polizei an der Absperrung. (Foto: Blogger im Einsatz)

Plakat "Antifaschismus für Deutschland" am Rande der Absperrung. (Foto: Blogger im Einsatz)

Wasserwerfer im Einsatzgebiet: Übersicht über die polizeilichen Absperrungen am Veranstaltungsort. (Foto: Blogger im Einsatz)

Plakat gegen die AfD-Jugend mit dem historischen Verweis "Hitlerjugend hatten wir schon". (Foto: Blogger im Einsatz)

Plakate "KONSENS GRUNDGESETZ worked NICHT MIT Rechtem MIND" und "FCK NZS" in Gießen. (Foto: Blogger im Einsatz)

Plakat mit Zitat "Ich habe nur Befehle befolgt" und Verweis auf die Nürnberger Prozesse. (Foto: Blogger im Einsatz)

Großbanner "AfD-JUGEND STOPPEN!" am Rande des Veranstaltungsortes in Gießen. (Foto: Blogger im Einsatz)

Plakat "REFUGEES WELCOME NAZIS RAUS" an den Barrieren in Gießen. (Foto: Blogger im Einsatz)

Zerfetztes Banner im Absperrgitter. (Foto: Blogger im Einsatz)


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